Mama ist Tennisspielen. Papa muss beide Kinder ins Bett bringen. Erst gibt es Nudeln, dann hängt Papa die Wäsche auf und befüllt die Spülmaschine. Und weil die Kinder beim Abräumen geholfen haben, bleibt noch Zeit für „Welches Tier fehlt hier“. Ein Wutanfall gegen Ende der dritten Runde beendet das Spiel. Die Drohung „wenn du dich so benimmst, kannst du nachher nicht…“ hilft auch diesmal, weitere Eskalationen zu verhindern.
Heute ist das Eröffnungsspiel der Fußball-EM. Und wie es sich bei wichtigen Fußballspielen eingebürgert hat, darf Ruben (7,5) zunindest die erste Halbzeit gucken. Voraussetzung: Er geht zunächst mal regulär ins Bett, damit Anatols Abendabläufe nicht gestört werden.
Anatols Abendabläufe sehen aber heute gar keinen Schlaf vor. Es ist kurz vor acht. Da wir uns ohnehin gerade auf dem Wohnzimmer-Sofa befinden, nachdem wir die Geschichte vom kleinen Onkel gelesen haben, ordnet Papa an: Alle schlafen auf der Liegelandschaft. Ruben schläft sofort ein, Anatol mümmelt vor sich hin, Papa wäre fast schon entschlummert, als klappernd etwas zu Boden fällt. Das Buch ist in die Lücke zwischen Sofa und Heizung gefallen. Leider auch Papas Brille.
Anatol hilft mit Begeisterung, während Ruben den Schlaf der Gerechten schläft. Im dritten Anlauf finden wir die Sehhilfe: Sie ist genau zwischen zwei Lamellen des Heizkörpers gefallen.
Dann ist es Zeit, den Fernseher anzuschalten. Die Eröffnungsfeier ist schon im Gange. Ruben fährt kurz hoch, legt sich dann aber gleich wieder hin. Anatol ist begeistert von den buntgekleideten Tänzerinnen: Die Brunzessinnen sind wunderschön! Vor allem die mit den rosa Kleidern haben es ihm angetan.
Inzwischen ist Ruben endgültig wieder wach, was ja passt, denn gleich ist Anpfiff. Anatol bearbeitet mithilfe eines Steckens den weißen Sessel, der neben dem Fernseher steht.
– „Was machst du da?“
– Ich mache den Sessel sauber.
Leider steht Anatol gelegentlich im Bild, was für Unmut im Publikum sorgt.
In der zwanzigsten Spielminute ruft Töli dann unvermittelt: Oh nein, ich glaub Frankreich verliert! Bislang hatte er den Spielverlauf kaum verfolgt. Dann ist Halbzeit. 0:0. Papa schaut das heute journal, und solange keine schlimmen Bilder kommen, darf Ruben mitschauen.
– Ist das ZDF oder AFD? Oder wie heißt dieser andere Sender?
Papa erklärt den Unterschied zwischen ARD und AFD.
– „Die AFD ist so eine blöde Partei.“
– Ja, ich weiß. Das hast du mir schon erklärt. Und wie findest Du die Grünen?
– „Besser.“
– Und die CDU?
– „Nicht so gut, aber auf jeden Fall besser als die AFD.“
Nachdem das geklärt ist, hat Ruben noch eine Killerfrage. Magst du Reus lieber als die AFD, möchte er wissen und zeigt auf eine FIFA-365-Fußballkarte, die Onkel Mark ihm netterweise geschickt hat. Papa kann kaum noch die Augen aufhalten.
Dann betritt Mama das Wohnzimmer. JAAAA! rufen Anatol und Ruben begeistert.
„Kinder putzmunter, Papa eingeschlafen“, murmle ich müde. Gemeinsam schauen wir uns die zweite Halbzeit an. Als Ruben sich noch ein Joghurt holt, fällt das 1:0 für Frankreich. Dann gibt es Elfmeter für Rumänien: 1:1. Kurz vor Ende der Partie schießt Payet das 2:1 für die Franzosen. Obwohl wir vorab geklärt haben, dass wir für die Blauen sind, drücken wir alle heimlich den Rumänen die Daumen.
Irgendwie hab ich jetzt auch Bock, dass die noch das 2:2 schaffen, sagt Ruben.
„Bäh“ schreit der Bock…, zitiert Anatol ein Kinderlied.
Aus, aus, das Spiel ist aus! Es ist elf Uhr, und alle gehen ins Bett.