„Komm wir gehen nach Hause, und ich mach uns ne heiße Schokolade“, versuche ich meinen Sohn zu ködern. Ich will aber lieber eine warme, ist Rubens Standardantwort. Seit einer Woche herrscht in Brüssel König Winter – also so richtig mit Schnee, Minusgraden, eingeschneiten Autos, vermummten Passanten und überfüllten Bussen -, und wir fahren jeden Tag mit dem Schlitten in die Schule statt mit dem Fahrrad.
Das heißt: Ich ziehe den Schlitten, und Ruben sitzt hintendrauf. Da die Schneeräumer wie die Straßenreiniger in Brüssel ihre Arbeit immer nur halb machen, bleibt eigentlich immer genügend Schneefläche, um la luge (in Belgien sagt man auch le traineau) von unserer Haustür bis zur école zu ziehen, was ca. 25 Minuten dauert.
Den traineau, ein echter Davoser, der mindestens so alt ist wie ich, parke ich auf dem Fahrradstellplatz der Schule, und jeden Nachmittag, wenn ich Ruben abhole, beginnt das gleiche Spiel. Da ich im Gegensatz zu morgens noch einen Kinderwagen dabeihabe, aus dem heraus der kleine Bruder Schnee- und Pausenhoftreiben betrachtet, kann ich nicht auch noch den Schlitten ziehen. (Das behaupte ich jedenfalls: Zur Not, also zwischen 17.00 und 17.30 Uhr, ziehe ich dann doch mit links den Schlitten, um mit der rechten Hand la poussette zu schieben…)
Ein komplizierter Verhandlungsmarathon beginnt, der viel Geschick erfordert, und – nicht unähnlich einer Regierungsbildungsphase à la belge (die sich auch einmal über eineinhalb Jahre hinziehen kann) – immer mit einem fragilen Kompromiss endet:
– „Hier, wo der Weg so eng ist, dass ich kaum mit dem Kinderwagen durchkomme, ziehst du den Schlitten…“
– Aber danach ziehst du mich wieder!
– „…und nach der Ampel, wenn der Weg wieder breiter ist, übernehme ich, okay?“
– Nein, vor der Ampel!
etc.
Den Weg von der Schule bis zum Parc Josaphat, für den ich allein keine 5 Minuten brauche, legen wir in 15-20 Minuten zurück. Dann beginnt der angenehme Teil des Nachmittags. Wir parken Anatol bei den Bänken unterhalb des Boulevard Lambermont und rodeln. Das heißt, inzwischen rodelt Ruben selbständig, nachdem er zunächst großen Respekt vor dieser noch ungewohnten Art der Fortbewegung gezeigt hatte.
Das geht etwa eine halbe, dreiviertel Stunde gut (in der ich Anatol aus dem Kinderwagen hole und in die Luft werfe oder Fliegerübungen mit ihm mache), dann frieren mir die Füße und ich blase zum Aufbruch:
– „Komm wir gehen nach Hause, und ich mach uns ne heiße Schokolade.“
– Ich will aber lieber eine warme.
Wir machen uns auf den Weg, ich mit der poussette voraus, Ruben mit dem traineau hinterhertrödelnd. Der immergleiche Dialog beginnt von neuem:
– „Ab hier ziehst du den Schlitten…“
– Aber danach ziehst du mich wieder!
– „…und nach der Ampel übernehme ich, okay?“
– Nein, vor der Ampel!
etc.
Irgendwann erreichen wir die Bushaltestelle, wuchten Kinderwagen, Schlitten und drei kleine und große Männer in das natürlich nicht niederflurige ÖPNV-Gefährt, fahren zwei Stationen, steigen unter tätiger Mithilfe besorgter Mitreisender aus und absolvieren die letzten 300 Meter.
– „Ruben, wenn du eine heiße Schokolade willst…“
– Eine warme!
etc.
Pingback: Frühsport auf Broccoli | parkwaechter