Als wir nach Belgien zogen, begrüßte mich meine Cousine Isabel, die seit längerem in Antwerpen wohnt, mit den Worten: „Willkommen in Absurdistan!“ Anfangs bezog ich diese Worte vor allem auf die byzantinische Verwaltungsstruktur (Brüssel besteht aus 19 Kommunen mit je eigenem Bürgermeister, aber es gibt keinen Oberbürgermeister) – inzwischen weiß ich aber etwas besser, was sie gemeint hat.
Anfangs brachte ich meine Briefe immer persönlich zur Post. Ich ging zum Schalter, zeigte meinen Brief vor, sagte irgendwas mit Allemagne und bezahlte 1,03 Euro. Die krumme Summe störte mich nicht. Eines Tages stand ich wieder am Schalter und legte meinen Brief vor. Als mich die Schalterbeamtin fragte, quelque chose d’autre?, kaufte ich noch acht Marken für Briefe nach l’Allemagne dazu.
Meine Überraschung war groß, als ich erfuhr, dass
a) ein Brief nach D, auf den man selber die Marke klebt, nur einen Euro glatt kostet (klebt der Schalterbeamte, zahlt man drei Cent mehr),
b) acht Briefmarken à 1,00 Euro rätselhafterweise 7,50 Euro kosten, und
c) auf den Briefmarken nicht draufsteht, was sie wert sind.
Diese Absurditäten werden von allen Belgiern hingenommen, aber nie thematisert. So dass es für den nichtsahnenden Nicht-Belgiker (danke, Jens!) sehr davon abhängt, an wen er gerät. Letzte Woche hatte ich wieder so einen Brief und wollte dazu ein paar Briefmarken kaufen. Wurstig (man könnte auch sagen: bereits abgehärtet oder absurdistanisert) nahm ich in Kauf, dass der eine Brief 1,o3 Euro kosten würde, und die anderen Briefmarken einen anderen Preis haben würden, den man mir schon mitteilen würde.
Doch die Schalterbeamtin meinte es gut mit mir. Sie verkaufte mir acht Briefmarken (diesmal stand der Wert drauf), nahm eine davon vom Bogen, klebte sie auf meinem Brief und sagte freundlich, ich solle den Brief draußen vor der Filiale in den Briefkasten werfen. Verwirrt tat ich, wie mir geheißen. Erst draußen begriff ich, dass ich dadurch Geld gespart hatte. Hätte sie den von ihr selbst beklebten Brief auch noch selber abgestempelt, hätte sie mir leider einen Euro drei abknöpfen müssen.
Wahrscheinlich hatte sie einfach nur eine Lücke in der Dienstvorschrift ausgenutzt, die nur für das Am-Schalter-Abstempeln, nicht aber für das Am-Schalter-Bekleben eines Briefes eine Zusatzgebühr vorsah. Für die acht Briefmarken zahlte ich diesmal, glaube ich, 9,59 Euro. Vielleicht täusche ich mich aber auch.
Das Gegenbeispiel zum subversiv-mitdenkenden Belgiker erlebte ich neulich am Flughafen. Als ich in den Express-Bus Richtung Zentrum einstieg und dem Busfahrer einen 5-Euro-Schein hinhielt, schaute mich dieser erst an, als sei ich nicht ganz dicht, und gab mir dann ein Ticket – ohne Rückgeld. Ich war etwas überrascht, hatte ich doch beim letzten Mal nur 3 Euro bezahlt. Wie sich herausstellte, kostet das Express-Bus-Ticket am Automaten 3 Euro, beim Fahrer jedoch 5 Euro. Das muss man nur wissen. Oder ein netter Busfahrer könnte es einem sagen.
Die Logik dahinter ist auf den ersten Blick nachvollziehbar: Die Leute sollen den Busfahrer (und damit den Busverkehr) nicht aufhalten und sich das Ticket lieber schon vorher kaufen. So weit, so gut. Das würde dann aber auch voraussetzen, dass es an jeder Bushaltestelle einen Automaten gibt. Das trifft aber nur auf ungefähr jede vierte Haltestelle zu. Der gewiefte Belgiker hat darum immer eine Zehnerkarte einstecken (12,50 Euro). Man muss nur wissen, wo man die kriegt.
Lieber Axel,
das sind ja nette Neuigkeiten und Anekdoten. Aber wusstest Du schon: Wenn Du Dir ein DB-Bayernticket am Schalter kaufst, dann kostetet das mehr (ich glaube 2 EUR Aufpreis) als am Automaten. In Pfarrkirchen am Bahnhof gibt es genau einen Automaten. Zehn Minuten vor Abfahrt steht ganz vorne ein Rentner und kämpft mit der Technik, während die Schlange dahinter wächst und wächst, während drinnen am Schalter ein einsamer Bediensteter sitzt, der nichts zu tun hat, weil ja niemand den Aufpreis bezahlen will. Die Geschichte geht aber immer gut aus, solange sich der Rentner irgendwann bereit erklärt Hilfe anzunehmen.
Frohe Weihnachten & ein gutes Neues,
Herwig & Co.
PS Kürzlich erwiderte mein großes Töchterlein, als ich sie streng ermahnt habe: „Papa, so kann man mit Kindern nicht umgehen.“